Hässlich, gefährlich, eine Bedrohung für die Demokratie

Was für den Absender nur «Luft ablassen» ist, fühlt sich für die Empfängerinnen und Empfänger sehr bedrohlich an: Hassrede. Was passiert, wenn jemand droht, alle Menschen, die aus dem Bundehaus laufen, zu erschiessen? Ein Fall.

Paul* ist wütend, schon lange. Seit der Covid-19-Impfung leidet er unter körperlichen Beschwerden. Die Pandemie ist vorbei, aber Paul fühlt sich im Stich gelassen, nicht ernst genommen und ist frustriert. Als Ventil nutzt er E-Mails, die er an unterschiedliche Personen sendet. Auch an diesem Abend im September 2023 setzt er sich, ohne nochmals Luft zu holen, an seinen Computer und schreibt drauf los. Sollen die in Bern endlich sehen und verstehen, wie wütend er ist!

Donnerstag, 14.57 Uhr: fedpol reagiert in der Sekunde, in der sie das Mail erhält. Per Mail droht eine Person, Menschen zu erschiessen, die aus dem Bundeshaus laufen, darunter auch Magistratspersonen. fedpol informiert die Kantonspolizei Bern und die Logen an der Bundesmeile. Die Kantonspolizei ordnet an, die Schutzmassnahmen rund um das Bundeshaus zu erhöhen: Auffällige Personen und gefährliche Gegenstände sind im Visier. In der Zwischenzeit klärt fedpol ab, wer der Absender des Mails ist. Bereits am Montag kann die Kantonspolizei Zürich gemeinsam mit fedpol den Mann zuhause anhalten. Paul wohnt alleine und ist überrascht, als die Polizisten bei ihm klingeln. Er habe seine Drohung nicht ernst gemeint und wäre niemals zur Tat geschritten. Er sei wütend, es gehe ihm nicht gut. Paul entschuldigt sich für seine harschen Worte. Dass er zur Gewalttat schreitet, ist unwahrscheinlich – zu diesem Schluss kommen die Polizistinnen und Polizisten dank der Ansprache und ihren Beobachtungen vor Ort. Es ist nochmals alles gut gegangen.

«Wir legen Wert darauf, einen Austausch mit den Bürgerinnen und Bürgern herstellen zu können. Repression ist manchmal unumgänglich; Prävention ist aber immer der erste Schritt. In vielen Fällen sind – zum Glück – nach einer Gefährderansprache keine repressiven Massnahmen mehr nötig.»

Sabrina, Kommissariatsleiterin Bedrohungsmanagement und Objektsicherheit

Die Schweiz als friedliche Insel – in der Bundesrätinnen und Bundesräte mit dem Tram zur Arbeit fahren und sich an heissen Sommertagen mit der grossen Masse in der Aare abkühlen? Das Bild sieht heute, post Pandemie, nicht mehr ganz so idyllisch aus. Hassrede – wie das Mail von Paul – gab es bereits vor der Pandemie, aber nicht im selben Ausmass, nicht in derselben Brutalität. Oft sind die Absender kreativ, erstellen blutige, gewalterfüllte Bildmontagen.

Hassrede: Definition

Der Bundesrat sagt: «Das Phänomen der Hassrede oder Hate Speech kennt keine einheitliche Definition. Im Allgemeinen werden darunter Herabsetzungen oder Diffamierungen von Menschen verstanden, die an ein gruppenbezogenes Merkmal anknüpfen. Sie haben das Ziel, diese Gruppen auszugrenzen und von der Gesellschaft auszuschliessen. Deshalb stehen sie in direktem Widerspruch zu den Werten einer freiheitlich-demokratischen Ordnung (rechtliche Gleichheit aller Menschen). Hate Speech kann sich Gewaltaufrufen bedienen, muss dies aber nicht zwingend.» Hassverbrechen (Hate Crime) hingegen bleiben nicht nur auf der verbalen Ebene – auch wenn Hassrede bereits ein Hassverbrechen ist. Angriff, Sachbeschädigung, Körperverletzung, sexuelle Belästigung, Vergewaltigung bis hin zu Mord sind weitergehende Straftaten des Hassverbrechens. Von Hassverbrechen können Menschen wie auch Orte – beispielsweise religiöse Stätten oder Gemeinschaftszentren – betroffen sein.

In den meisten Fällen schreiten die Absenderinnen und Absender der Hassbotschaften selber nicht zur Tat. Fakt ist jedoch: Sie inspirieren andere, bieten Nährboden für weitere Hassbotschaften, von weiteren Absendern. Und wer weiss? Irgendwann fühlt sich jemand ausreichend angestachelt und schreitet zur Tat. Und: Für den Absender mag die Botschaft ein Ventil für Ärger sein. Via Social Media oder per Mail geht das schnell, einfach und anonym. Bei den Empfängerinnen, Empfängern und deren Angehörigen löst die Drohung Angst aus; sie erschüttert, schüchtert ein und zwingt vielleicht zum Rückzug aus einer öffentlichen Funktion. Hassreden bedrohen nicht nur Menschen, sondern auch Institutionen, die Demokratie, die Freiheit.

Roundtable Hate Speech

Am 11. Dezember 2023 traf sich das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) mit Parteien, Verbänden, Sicherheitsbehörden und der Wissenschaft zu einem Austausch über Hate Speech in der Schweizer Politik. Zahlreiche Fälle von Drohungen und Übergriffen gegen Politikerinnen und Politiker haben gezeigt: Hate Speech ist zu einem Problem geworden, ganz egal, ob auf Bundes-, Kantons- oder Gemeindeebene. Hassrede bedroht den demokratischen Diskurs.

* Name geändert

Das Netzwerk Staatsverweigernder unter der Lupe

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