Identifizierung im Notfall 

Der 7. Oktober 2023 ist ein historisches Datum. Die von der Hamas in Israel verübten Massaker an der Zivilbevölkerung sind beispiellos. Das Land bittet die Schweiz um Unterstützung bei der Identifizierung der Todesopfer. fedpol koordiniert den Einsatz.

Am 7. Oktober 2023 wird in Israel das Versöhnungsfest Jom Kippur gefeiert. Um 6.25 Uhr werden die Menschen von den Sirenen geweckt. Das Sirenengeheul ist Teil ihrer Normalität – aber dieses Mal ist es alles andere als normal. Die sich überschlagenden Nachrichten auf den Mobiltelefonen bestätigen das. Angst verbreitet sich.

Es ist das erste Mal, dass Israel einen so brutalen Angriff auf seinem Territorium erlebt. Dieser blutige Tag fordert zahlreiche zivile Opfer – Babys, Kinder,  Frauen, Männer, ältere Menschen. Das Militär und Freiwillige beginnen mit den Identifikationsarbeiten: Es muss sofort gehandelt werden. Die jüdische Tradition gibt vor, dass die Toten so schnell wie möglich identifiziert und bestattet werden.

Die Anzahl der Todesopfer übersteigt das Machbare des Nationalen Zentrums für Rechtsmedizin. Deshalb bitten die israelischen Behörden am 12. Oktober die Schweiz um humanitäre Hilfe. Die Schweiz zögert nicht: Das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten beauftragt fedpol zusammen mit Disaster Victim Identification (DVI CH) – dem nationalen Team zur Identifizierung von Katastrophenopfern –, die israelischen Behörden zu unterstützen.

Disaster Victim Identification

Das Team Disaster Victim Identification Schweiz (DVI CH) unterstützt nationale und internationale Krisenorganisationen im Fall von Katastrophen und Grossereignissen. Es wurde 2001 auf Beschluss der Konferenz der kantonalen Polizeikommandanten der Schweiz (KKPKS) gegründet. Es umfasst rund 400 Experten, darunter forensische Spezialisten und Ermittlerinnen von fedpol und allen kantonalen und städtischen Polizeikorps. Zudem gehören ihr Rechtsmediziner und Zahnärzte an. DVI CH steht derzeit unter der strategischen Leitung des Kommandanten der Kantonspolizei Bern. Die operative Leitung obliegt dem Chef des Bereichs Forensik. fedpol unterstützt und koordiniert die Leitung der Auslandeinsätze von DVI CH.

DVI CH nimmt Kontakt mit den Kantonspolizeien auf, um den Freiwilligen-Pool zu aktivieren: Zahlreiche Spezialistinnen und Spezialisten melden sich. Gleichzeitig ruft fedpol eine Einsatzorganisation ins Leben. Das Ziel: die operative Führung und den Informationsaustausch mit den Partnerbehörden sicherstellen und den Einsatz vor Ort begleiten. Für die Sicherheit der DVI-CH-Delegation sorgen die israelischen Behörden.

Ein fedpol-Mitarbeiter fliegt gemeinsam mit zwei Experten aus dem DVI-Team nach Tel Aviv, um den Auftrag der Schweizer Spezialistinnen und Spezialisten zu klären. Der Koordinator von fedpol stellt damit die Schnittstelle zwischen der Einsatzorganisation und dem nationalen Zentrum für Rechtsmedizin dar. Fazit der Abklärungen: Die Unterstützung von fünf Spezialistinnen und Spezialisten der Forensik und der Rechtsmedizin wird benötigt. Sie müssen die Todesopfer nach internationalen Standards und mithilfe einzigartiger Merkmale wie DNA und Fingerabdrücke identifizieren.

«Der Einsatz in Israel lief einwandfrei, weil alle Beteiligten – ob im Einsatzstab, im Backoffice aber vor allem vor Ort – kompetent, professionell und selbstlos engagiert waren. Es waren anstrengende Tage für alle.»

Beni, Abteilungsleiter internationale Polizeikooperation

Die Arbeitsbelastung ist hoch. Etwa 30 Leichen müssen identifiziert werden. Einige davon sind unkenntlich. Die Arbeit ist belastend: Die Expertinnen und Experten schauen dem Tod ins Gesicht unter schweren Bedingungen. Das Geheule der Notfallsirenen in Tel Aviv scheint nicht aufzuhören.

Bei fedpol führt die Einsatzorganisation täglich eine Lagebesprechung durch: Wie geht es den Spezialistinnen und Spezialisten? Läuft der Einsatz wie geplant? Funktionieren die zur Verfügung stehenden Kommunikationsmittel? Es gibt keine Komplikationen, die Warnlampen stehen auf Grün.

Der Einsatz dauert fünf Tage. Nach der Rückkehr führt eine Psychologin ein Gespräch mit dem Team durch. Es ist wichtig, das Erlebte in Worte zu fassen. Kurze Zeit später kehrt jeder in seine Normalität zurück. Die Einsatzorganisation wird aufgelöst, die Mission ist erfüllt.