
Von der internationalen Justiz eingeholt
Der ehemalige gambische Innenminister Ousman Sonko hoffte, in der Schweiz Zuflucht zu finden – nachdem er im autoritären Regime seines Landes gedient hatte. Sonko werden Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen. 2017 wird er verhaftet und 2024 zu einer Freiheitsstrafe von 20 Jahren verurteilt. Komplexe Ermittlungen von fedpol, durchgeführt im Auftrag der Bundesanwaltschaft, konnten das repressive System rekonstruieren, dem er angehörte.
Von 2000 bis 2016 war Ousman Sonko in Gambia ein gefürchteter Mann. Er arbeitete unter dem autoritären Regime des Ex-Präsidenten Yahya Jammeh. In der Schweiz stellt der Minister ein Asylgesuch, in der Annahme, dass seine dunklen Geheimnisse hier sicher sind. Weit gefehlt: Im Januar 2017 wird er in der Schweiz verhaftet. Die gegen ihn vorgebrachten Anschuldigungen wiegen schwer: Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Sonko steht unter dem Verdacht, ein Schlüsselakteur unter dem repressiven Regime Jammehs gewesen zu sein, das sich gegen Journalistinnen und Journalisten, Oppositionelle und als Putschisten verdächtigte Militärangehörige richtete. Hinter den Befehlen des Regimes verbirgt sich eine grausame Realität: Personen wurden willkürlich inhaftiert, gefoltert, zum Verschwinden gebracht und aussergerichtlich hingerichtet.
Das Puzzle zusammensetzen
Traffic Light, eine strategische Kreuzung in Banjul, dient den Junglers – der Todesschwadron des Jammeh-Regimes – über Jahre hinweg regelmässig als Treffpunkt. An Bord von weissen Pick-ups verfolgen die vermummten Männer politische Gegnerinnen und Gegner und nehmen sie gefangen. Die Opfer werden im Gefängnis des Regimes festgehalten, bevor sie von den Junglers an den Sitz der National Intelligence Agency (NIA) überführt werden. Dort werden sie verhört und brutal gefoltert. Nur wenige kommen unversehrt wieder heraus.
Zahlreiche Junglers haben vor der Wahrheits- und Versöhnungskommission in Gambia ausgesagt. Unter dem Titel Establishing the Truth wurden die Anhörungen gefilmt; diese Aufzeichnungen helfen den Ermittlerinnen und Ermittlern, gewisse Fakten zu rekonstruieren. Auch die Bundesanwaltschaft hat mit der Unterstützung von fedpol mehrere Junglers einvernommen. Einer davon gab, scheinbar emotionslos, zu Protokoll, um die zehn Menschen getötet zu haben. In einer Gewaltspirale gefangen, führten die Henker kaltblütig Befehle aus. Der geringste Ungehorsam hätte ihr eigenes Leben gefährden können.
Dank Kriminalanalyse zu einem präzisen Bild des Kontextes
Bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit stellen sich grosse Herausforderungen. Die oftmals lange zurückliegenden Tatsachen müssen minutiös rekonstruiert werden. Der Fall Sonko verdeutlicht diese Komplexität: Die Ermittlungen erforderten eine tiefgehende Analyse des historischen und politischen Kontextes und der Machtdynamiken in Gambia zur Zeit der Ereignisse.
Die Verknüpfung von Kriminalanalysen und Ermittlungen ermöglichte es, die Gerichtsakten zu konsolidieren: Ein detailliertes Bild des Regimes wurde nachgezeichnet und die Zeugenaussagen verifiziert. Alle diese Elemente haben dazu beigetragen, die mutmassliche Rolle von Sonko als Schlüsselakteur bei der Planung und Umsetzung der Schreckenstaten ans Licht zu bringen.
Ein starkes Signal gegen Straflosigkeit
Die Schweiz weigert sich, ein sicherer Hafen für Kriegsverbrecher zu sein, und kämpft aktiv gegen Straflosigkeit. Gegen Sonko hat sie eine Freiheitsstrafe von 20 Jahren verhängt. Sonko ist der bisher höchste Staatsfunktionär, der in Europa, gestützt auf die universelle Gerichtsbarkeit, verurteilt wurde. Dieses historische Urteil erinnert daran, dass kein Status vor internationaler Rechtsprechung schützt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Für den Beschuldigten gilt weiterhin die Unschuldsvermutung.
Weitere völkerstrafrechtliche Ermittlungen sind im Gang. Dank gründlicher Ermittlungen und internationaler Zusammenarbeit wird der Gerechtigkeit Genüge getan und das Bewusstsein gestärkt: Wer Gräueltaten begeht, kann zur Rechenschaft gezogen werden, wo auch immer er oder sie sich befindet.
Augenzeugenberichte von Kriegsopfern: ein Webportal
Seit mehreren Jahren sammelt die Schweiz Augenzeugenberichte von Opfern sowie Zeuginnen und Zeugen von Kriegsverbrechen und anderen Verstössen gegen das Völkerstrafrecht. 2022 hat fedpol, zusammen mit der Bundesanwaltschaft und dem Staatssekretariat für Migration (SEM), den zugehörigen Prozess modernisiert, dank einem Webportal, das sich an Flüchtlinge aus der Ukraine richtet und die Ermittlungen erleichtert.
Seit Oktober 2024 steht das Portal in 13 Sprachen zur Verfügung. Der Prozess ist einfach und effizient: Das SEM verteilt Flüchtlingen und Asylsuchenden Karten mit einem QR-Code, der zur entsprechenden Website führt, wo sie eine erste Aussage machen können. fedpol analysiert diese Informationen und kontaktiert die Personen, um eine detaillierte Aussage aufzunehmen. Diese Aussagen fliessen in Ermittlungsverfahren und internationale Rechtshilfeersuchen ein. Europol filtert und organisiert die Daten im Hinblick auf gezielte Massnahmen.
Heute diese Beweise zu sichern, heisst, morgen Gerechtigkeit zu garantieren. Seit 2022 erhält Europol entscheidende Informationen; der Kampf gegen Straflosigkeit wird gestärkt. Die Schweiz bekräftigt damit ihr Engagement für die internationale Justiz.
«Noch vor wenigen Jahren waren Ermittlungen zu dieser Art von Verbrechen präzedenzlos. Heute sehen wir, wie solche Fälle an Bedeutung gewinnen. Die Ermittlungen sind gleichzeitig faszinierend und beinhalten komplexe politische und historische Dimensionen. Sie beleuchten Konflikte und Aspekte der Weltgeschichte, die in der Schweiz nicht unbedingt gut bekannt sind.»
Jacques, Kriminalanalytiker und Afrika-Spezialist