
Radikalisierung: Vom Klick zur Tat
Davide* und Blerim* haben sich online kennengelernt. Während Monaten tauschen sie über verschiedene Chats Nachrichten aus. Nach und nach knüpfen sie virtuell Freundschaft. Was sie verbindet, ist ihre extremistische Weltanschauung und die Obsession, jene zu bestrafen, die in ihren Augen Ungläubige sind. Gemeinsam hegen sie die Fantasie, Terroranschläge zu begehen.
Gemäss den fedpol und seinen Partnern vorliegenden Informationen hat Davide sich rasend schnell radikalisiert. Es ist ein Schema, das die Polizei in vielen Fällen beobachtet: Junge Menschen geraten im Internet in eine Radikalisierungsspirale, die sich von Social-Media-Inhalten nährt und ihre ursprünglichen Überzeugungen verstärkt. Gefangen in dieser Spirale, konsumiert Davide Unmengen von Onlinepropaganda und beginnt gar selbst, welche herzustellen. Ohne Arbeit oder Ausbildung verbringt er seine Tage in seiner virtuellen Welt, von dschihadistischen Themen besessen. Die Daten auf seinem Telefon und die Stichwörter, die er in Suchmaschinen eingibt, deuten darauf hin, dass seine Obsessionen zunehmend konkreter werden.
Auch Blerims finstere Absichten finden den Weg in die reale Welt. Seinem Hass auf Ungläubige verschafft er öffentlich Luft. Über mehrere Wochen sucht er verschiedene Kirchen in seiner Region auf und stört den Gottesdienst. Für ihn ist der Islam die einzige wahre Religion, seine Überzeugungen versucht er an diesen Gebetsstätten Andersgläubigen aufzuzwingen. Selbst einem Ermittler von fedpol probiert er seine Doktrin zu predigen.
Heute werden gegen einen der beiden jungen Männer polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus (PMT) umgesetzt: Seit seiner Entlassung aus der Untersuchungshaft absolviert er ein Deradikalisierungsprogramm. Der andere wurde in einer Einrichtung für junge Erwachsene untergebracht. In Fällen mit radikalisierten jungen Menschen versuchen die Behörden immer, Wiedereingliederungsmassnahmen zu priorisieren. Denn ohne angemessene Betreuung besteht die Gefahr, dass sie ihren radikalen Weg fortsetzen. Und mit dem Übergang zum Erwachsenenalter drohen Minderjährigen Strafen mit schwerwiegenden Konsequenzen.
Radikalisierung von Minderjährigen – alarmierende Tendenz 2024
Die dschihadistische Radikalisierung Minderjähriger und junger Erwachsener ist 2024 zu einem Hauptanliegen von Polizei und Nachrichtendienst geworden. Laut dem Nachrichtendienst des Bundes (NDB) ist die Schweiz im Vergleich zu anderen europäischen Ländern von diesem Phänomen besonders betroffen.
Mehrere Fälle bestätigen dies. Wenige Wochen nach dem Messerangriff von Zürich werden in den Kantonen Genf und Waadt drei radikalisierte Jugendliche festgenommen, als sie zur Tat schreiten wollen. Im Frühling werden in Schaffhausen aus ähnlichen Gründen zwei Minderjährige verhaftet. Im Sommer werden zwei Jugendliche festgenommen, nachdem sie drohen, mit einem Lastwagen einen Anschlag auf das Zurich Pride Festival zu verüben. Ende 2024 werden in der Südschweiz zwei Jugendliche festgenommen. Einer der beiden ist gerade einmal elf Jahre alt, und beide zeigen ein besorgniserregendes Radikalisierungsprofil.
Brücken bauen zwischen Partnern
fedpol ermittelt in Terrorismusfällen, die in die Zuständigkeit der Bundesanwaltschaft (BA) fallen, gegen unbekannt oder Erwachsene. fedpol analysiert polizeiliche Daten auf taktischer und strategischer Ebene, unterstützt die kleinen Kantone und erleichtert die kantonale und internationale Polizeikooperation. Zudem bringt fedpol seine Expertise im Bereich des dschihadistischen Terrorismus ein, insbesondere in Fällen mit Minderjährigen; eine Kompetenz, die in gewissen Kantonen begrenzt vorhanden ist.
In Anbetracht der Lage hat fedpol 2024 während einiger Monate eine spezifische Arbeitsgruppe zur Bearbeitung von Fällen von Radikalisierung junger Erwachsener und Minderjähriger eingesetzt. Dadurch gelang es, zwischen den verschiedenen Behörden Brücken zu schlagen. Der Hauptzweck der Arbeitsgruppe war die Koordination der Ermittlungsergebnisse zwischen den verschiedenen kantonalen Polizeikorps, den kantonalen Staatsanwaltschaften, dem NDB, fedpol und der BA. Im Fokus stand der Austausch der verschiedenen Informationen aus Analysen, Einvernahmen und weiteren Ermittlungen, um Verbindungen zwischen involvierten, namentlich online aktiven Personen herzustellen, auch auf internationaler Ebene. Dank dieser Koordination konnte die Arbeitsgruppe einen einheitlichen Informationsaustausch zwischen allen betroffenen Parteien gewährleisten und sicherstellen, dass die geeignetsten Massnahmen ergriffen werden.
«Es ist beunruhigend zu sehen, wie diese jungen Menschen felsenfest überzeugt sind, auf dem richtigen Weg, ‹im Recht› zu sein. Bei einigen ist die Radikalisierung tief verwurzelt.»
Florian*, Bundesermittler
* Name geändert