Im Auge des Schneesturms
Was aussieht wie eine lokale Razzia, ist Teil einer globalen Operation gegen nigerianische Bruderschaften, die mit Drogenhandel, Betrug und Geldwäsche ganze Kontinente verbinden. Ihre Opfer verlieren alles: Geld, Vertrauen und Freiheit.
«Zugriff! Zugriff!»
Morgengrauen am 14. Mai 2024. 6 Uhr, Rue de Genève, Lausanne. Die Operation JACKAL beginnt. Einsatzkräfte von fedpol, der Kantonspolizei Waadt, der Stadtpolizei Lausanne, der Staatsanwaltschaft des Kantons Waadt und INTERPOL verschaffen sich Zugang zu einem Mehrfamilienhaus. Kaum ist der erste Polizist durch die Eingangstür, fliegen Säckchen mit weissem Pulver aus den Fenstern – mutmasslich Kokain. Verdächtige versuchen hektisch, Beweise zu vernichten. Doch die Polizei ist schneller. 57 Polizistinnen und Polizisten durchsuchen systematisch die Wohnungen, die als Verstecke und Lager für Drogenhandel dienten. 22 Personen ohne legalen Aufenthaltsstatus in der Schweiz werden festgenommen. Zwei erhalten noch am selben Tag Haftstrafen, vier gehen in Untersuchungshaft, drei weitere werden in andere Kantone überstellt. Mehr als ein Kilogramm Kokain und 48 000 Franken Bargeld werden sichergestellt.
Die nigerianischen Bruderschaften
Die Ursprünge der Bruderschaften reichen bis in die 1950er-Jahre zurück, als sie in Nigeria aus studentischen Verbindungen entstanden, damals noch mit sozialen Zielen. Gruppen wie Black Axe, Vikings, Maphites und Supreme Eiye Confraternity entwickelten sich im Laufe der Jahre zur Fassade für international agierende kriminelle Organisationen. Sie zeichnen sich durch strenge Hierarchien und hohe Anpassungsfähigkeit aus. Ein weltweit operierender Präsident gibt die Richtung vor; regionale Chapter setzen die Befehle um.
Rückblende. 2021 gelangt die Information von ausländischen Partnern an fedpol: Nigerianer aus der Schweiz wurden am Europäischen Meeting der Bruderschaft Black Axe in Brüssel gesichtet. fedpol will es genauer wissen und identifiziert in der Schweiz etwa 200 Mitglieder, die verschiedenen Bruderschaften zugeordnet werden. Deren Opfer verlieren oftmals ihre ganze Existenz. Frauen werden mit Versprechungen nach einem besseren Leben in die Prostitution gedrängt. Opfer von Romance Scams – Menschen, die nach Zuneigung suchen – verlieren ihr Geld und das Vertrauen in soziale Kontakte. Rentnerinnen und Rentner werden dank ausgeklügelten Phantasiegeschichten als Kuriere (Mulis) für Bargeld- oder Drogentransporte ausgenutzt. Derzeit sitzen mehrere Schweizer Rentnerinnen und Rentner in ausländischen Gefängnissen.
Gelder aus der Schweiz fliessen in internationale Netzwerke und finanzieren Verbrechen in Europa, Afrika und Südamerika. Die Analyse zeigt: Fast alle Schweizer Kantone sind betroffen, wobei Lausanne, Genf und Zürich als Hauptdrehscheiben für Aktivitäten wie Geldwäscherei und Drogenverteilung dienen. Verfeindete Bruderschaften regeln ihre Angelegenheiten mit Gewalt – allein 2024 registriert fedpol in der Schweiz zehn gewaltsame Auseinandersetzungen.

Die Bilanz der Operation JACKAL ist beachtlich: Weltweit blockiert INTERPOL über 1,2 Millionen Euro illegale Gelder, 75 Verdächtige sind festgenommen und Schlüsselpersonen identifiziert. Die Erkenntnisse aus Lausanne fliessen in die Analyse ein und werden mit Partnerbehörden ausgetauscht. So fügt sich Stück für Stück das Puzzle zu einem Gesamtbild. Die Schweizer Polizeien haben gezeigt, dass sie entschlossen handeln, und senden ein klares Signal: Die Schweiz ist kein sicherer Hafen für kriminelle Netzwerke, diese werden konsequent bekämpft.
Operation JACKAL
Eine globale Initiative. INTERPOL koordiniert die Operation JACKAL, die westafrikanische kriminelle Netzwerke ins Visier nimmt. Im Fokus stehen die nigerianischen Bruderschaften, insbesondere Black Axe, die durch Drogenhandel, Onlinebetrug, Menschenhandel und Geldwäscherei an Einfluss gewinnen. Rund 30 mutmassliche Mitglieder werden in der Schweiz identifiziert, mit Schwerpunkt in Lausanne, Genf und Zürich. Die Netzwerke operieren transnational und verlagern Gelder zur Finanzierung krimineller Aktivitäten weltweit.
«Wir müssen in der Schweiz entschieden handeln, damit nigerianische Bruderschaften nicht Fuss fassen und ihre Aktivitäten ausweiten. Um das zu erreichen, müssen wir unbedingt ihre Funktionsweise, ihre Werte und die Denkweise ihrer Mitglieder verstehen.»
Michael, Bundesermittler
Geldwäscherei: doppelt so viele Meldungen wie noch vor zwei Jahren